Vielfalt im Unternehmenskontext:ein Plädoyer zur Einführung eines
Diversity Managements
am Beispiel HAMBURG WASSER
BKK Gesundheitsreport 2025Jan-Paul Goroncy

Der Autor

Jan-Paul Goroncy

Jan-Paul Goronc

Jan-Paul Goroncy ist seit 2023 Diversity Manager beim städtischen Wasserver- und -entsorger HAMBURG WASSER. Er hat Sozialökonomie und Soziologie in Hamburg und Frankfurt studiert. Berufliche Stationen führten ihn unter anderem zur Unternehmensberatung KPMG, wo er im Bereich Diversity Management tätig war, sowie zum Verein Unternehmer ohne Grenzen e.V., wo er als Projektreferent arbeitete.

Ist das Diversity oder kann das weg?

Gründe zur Implementierung eines Diversity Managements in Unternehmen

Die Auseinandersetzung mit Vielfalt und der Aufbau von Diversity Management-Strukturen haben in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland deutlich zugenommen [1]. Gleichzeitig ist ein gesellschaftlicher Gegenwind spürbar: Die aggressive Anti-Diversity-Politik der Trump-Regierung, das Erstarken rechter Kräfte in Deutschland, eine zunehmend konservative politische Ausrichtung sowie wirtschaftliche Unsicherheiten beeinflussen die öffentliche Debatte und die Bereitschaft von Unternehmen, sich aktiv und finanziell für Vielfalt einzusetzen. [2, 3, 4]

Sichtbar wird dieser Wandel in Deutschland unter anderem am Verbot der CSD-Flagge auf dem Reichstagsgebäude zum Berliner CSD, am Rückzug von Sponsoren aus Pride-Veranstaltungen oder an den Titeln aktueller Diversity-Konferenzen, die zunehmend defensiv formuliert sind (z.B. „Diversity verteidigen“ oder „Vielfalt unter Druck“) [5, 6, 7, 8].

Diese gesellschaftspolitischen Schwankungen ändern jedoch nichts an den guten Gründen, warum sich Unternehmen mit Vielfalt beschäftigen sollten.

Im Folgenden werden die in Abbildung 1 dargestellten zentrale Argumente für die aktive Auseinandersetzung mit Vielfalt im Unternehmen, skizziert – von rechtlichen Anforderungen über wirtschaftliche Vorteile bis hin zu gesundheitlichen und kulturellen Aspekten.

Vielfalt als rechtliche Verpflichtung

Vielfalt ist kein „On-Top oder nice-to-have Thema“, sondern rechtlich verankert. In Deutschland bildet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) die zentrale gesetzliche Grundlage zur Verhinderung von Diskriminierung im Arbeitsleben. Es verpflichtet Arbeitgeber:innen, aktiv gegen Benachteiligung vorzugehen – etwa durch diskriminierungsfreie Stellenausschreibungen, Schulungen oder die Einrichtung einer Beschwerdestelle. Verstöße können nicht nur rechtliche Konsequenzen haben, sondern auch das Vertrauen und die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden beeinträchtigen [11, 12].

Schützenswerte Merkmale nach dem AGG

Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sind in Deutschland folgende Merkmale besonders schützenswert. Diskriminierung aufgrund dieser Merkmale ist im Arbeitsleben und darüber hinaus unzulässig:

  • Ethnische Herkunft
  • Geschlecht
  • Religion oder Weltanschauung
  • Behinderung
  • Alter
  • Sexuelle Identität

    Es sei hier angemerkt, dass diese Merkmale nicht alle Kerndimensionen der Vielfalt, mit denen häufig gearbeitet wird, inhaltlich oder sprachlich abdecken. So fehlt hier bspw. die Dimension „Soziale Herkunft“ komplett oder es wird nur von Geschlecht und nicht zusätzlich der geschlechtlichen Identität gesprochen, wie es zum Beispiel der Charta der Vielfalt e.V. tut, einer der prominentesten Orientierungspunkte für Vielfalt und Diversity Management in Deutschland. Gerade die Aussparung der Dimension der sozialen Herkunft wird immer wieder kritisiert. [28, 29]

    Diversität: ein Business Case?

    In den letzten Jahren wurde immer stärker der Business Case Diversity hervorgehoben, also der wirtschaftliche Nutzen von Diversität für Unternehmen herausgearbeitet. Ein Argument ist hierbei die höhere Innovationskraft: Unternehmen versprechen sich von divers zusammengesetzten Teams innovativere Lösungen [13]. Auch wird angeführt, dass Unternehmen mit konsequentem Diversity Management wirtschaftlich nachhaltig besser abschneiden würden. Dabei werden vor allem eine inklusive Führung und ein diverses Führungsteam als Erfolgsfaktoren hervorgehoben [14]. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass auch Kritik an dieser ökonomischen Erfolgsperspektive auf Diversity Management immer lauter wird. Forscher:innen kritisieren Aussagen von mehr Gewinn durch Diversity Management und weisen auf eine zu schlechte Datengrundlage hin. Es wird immer stärker hervorgehoben, dass eine Beschäftigung mit Diversität kein wirtschaftlicher Erfolgs- oder Innovationsmotor ist, sondern vielmehr eine Notwendigkeit angesichts des demografischen Wandels und Fachkräftemangels, auf die im Folgenden noch näher eingegangen wird [15].

    In diesem Zusammenhang wird immer wieder hervorgehoben: Vielfalt allein reicht nicht, sondern kann auch richtig anstrengend und konfliktträchtig werden. Ohne gemeinsame Team- und auch Unternehmenskultur können Unterschiede auch zu Missverständnissen oder Konflikten führen. Deshalb sprechen viele Unternehmen heute nicht mehr nur von „Diversity“, sondern von Diversity, Equity, Inclusion & Belonging (DEIB) – und rücken damit auch Chancengerechtigkeit und Zugehörigkeit in den Fokus Neben der Wertschätzung von Vielfalt braucht es eben diese Zugehörigkeit, um sowohl Anerkennung für die eigene Identität zu erfahren als auch, um eine „Wir-Kultur“ zu empfinden. [1, 15, 16, 17]. Bei uns bei HAMBURG WASSER wurde daher das Diversity Management auch an das Team der Organisationsentwicklung angegliedert, um die Team , Unternehmens- und Zusammenarbeitskultur ganzheitlich zu denken.

    Vielfalt als Schlüssel für Recruiting und Mitarbeiter:innenbindung

    Wie oben schon angerissen, ist es in Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel entscheidend, möglichst viele Menschen für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Dabei kann Diversity ein entscheidender Faktor werden [18]. Aktuelle Studien zeigen, dass es gerade für junge Beschäftigte und Bewerber:innen ausschlaggebend ist, ob Unternehmen aktiv ihr Engagement für Diversity sichtbar machen [19, 20]. Für HAMBURG WASSER bedeutet das zum Beispiel, gezielt Frauen für handwerklich-technische Berufe anzusprechen. Doch Recruiting allein genügt nicht: Wer vielfältige Talente anzieht, muss auch dafür sorgen, dass sie bleiben – durch ein diskriminierungsfreies, wertschätzendes Arbeitsumfeld. Gleichzeitig darf die bestehende Belegschaft nicht „abgehängt“ werden. Vielfalt muss so gestaltet werden, dass sich alle Mitarbeiter:innen weiterhin zugehörig fühlen – auch im Kontext von Generationenwechsel und Wissensweitergabe.

    Vielfalt als Ausdruck unternehmerischer Verantwortung

    Neben rechtlichen und wirtschaftlichen Argumenten steht auch die gesellschaftliche Verantwortung im Fokus. Unternehmen sind Teil des gesellschaftlichen Gefüges – und haben die Möglichkeit, ihre Stimme für Vielfalt zu erheben. Das bedeutet: Vielfalt darf nicht nur in einem Nebensatz auf der Unternehmenswebsite auftauchen, sondern muss sichtbar gelebt werden – intern wie extern. Dieser Leitsatz ist für uns bei HAMBURG WASSER gerade als öffentliches Unternehmen zentral. Als Ver- und Entsorger für Hamburg ist es unser Ziel, auch die vielfältige Hamburger Stadtgesellschaft widerzuspiegeln.

    Vielfalt, Zugehörigkeit und Gesundheit

    Auch im Hinblick auf Gesundheit ist das Thema Vielfalt hochrelevant.

    Diskriminierungserfahrungen – oder umgekehrt das Gefühl von Zugehörigkeit – wirken sich nachweislich auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit von Beschäftigten aus. Hier kann ein wirksames Diversity Management einen bedeutenden Beitrag leisten. Denn: Diskriminierung am Arbeitsplatz ist kein Einzelfall.

    Laut Statistischem Bundesamt haben allein im Jahr 2021 rund zehn Prozent der Beschäftigten mindestens eine Diskriminierung bei der Arbeit erlebt [21]. Solche Erfahrungen stellen ein erhebliches Risiko für die psychische Gesundheit dar. Studien zeigen einen engen Zusammenhang zwischen Ausgrenzung und erhöhter Stressbelastung sowie weiteren gesundheitlichen Folgen wie Burn-out, Depressionen, Schlafstörungen oder Magen-Darm-Erkrankungen [22, 16].

    Die Folgen sind nicht nur individuell spürbar, sondern auch betrieblich relevant: höhere Krankheitsquoten, gesteigerte Kündigungsraten und eine geringere Arbeitsleistung. Umgekehrt wirkt sich ein starkes Zugehörigkeitsgefühl positiv auf Motivation, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit aus [23, 24]. Wichtig ist aber auch hier wieder anzuerkennen: Diversität in Teams kann zunächst Stress erzeugen – insbesondere, wenn sie nicht aktiv begleitet wird. Deshalb muss Vielfalt bewusst gestaltet und gemanagt werden [15, 16, 17].
    Auch vor diesem Hintergrund ist die Antidiskriminierungsarbeit ein Kernthema unseres Diversity Managements bei HAMBURG WASSER. Unser Ziel ist es, diskriminierungsfreie Arbeitsbedingungen zu schaffen – und eine Arbeitsatmosphäre, in der niemand einen Teil seiner Persönlichkeit am Werkstor abgeben muss.

    Diversity! Aber wie?

    Unsere Erfahrung und Learnings beim Aufbau des Diversity Managements bei HAMBURG WASSER

    Gerade bei Themen wie Diversity, die häufig hoch emotionalisiert diskutiert werden, braucht es eine strukturierte, datengestützte und gleichzeitig anpassungsfähige Herangehensweise.

    Beim Aufbau des Diversity Managements bei HAMBURG WASSER haben wir uns daher an einem strukturierten Ablauf orientiert, der in vereinfachter Form in der Abbildung 2 dargestellt wird.

    Der Aufbau eines Diversity Managements wird hier in sechs Phasen beschrieben – von der Analyse bis zur Umsetzung. In der Praxis ist dieser Prozess jedoch nicht linear, sondern iterativ: Erkenntnisse aus jeder Phase fließen in die nächste Runde ein. Neue gesellschaftliche Entwicklungen, interne Rückmeldungen oder veränderte Rahmenbedingungen machen es notwendig, regelmäßig zu reflektieren, Ziele zu überprüfen und Maßnahmen anzupassen.

    Abb. 2 Aufbau des Diversity Managements (nach [9, 10])

    Abb. 2 Aufbau des Diversity Managements (nach [9, 10])

    Vorarbeit leisten: Commitment der Unternehmensleitung

    Ein wirksames Diversity Management braucht ein klares Bekenntnis der Unternehmensleitung. Ohne Rückendeckung „von oben“ fehlt die strategische Legitimation.
    Bei HAMBURG WASSER wurde der erste Impuls durch engagierte Mitarbeiter:innen gesetzt und von der damaligen Personal- und Geschäftsleitung aufgegriffen. Ein interdisziplinäres Vorprojekt zur Erfassung des Status Quo war das erste sichtbare Zeichen für das Commitment der Führung. Auch heute holen wir für größere Projekte aktiv die Unterstützung der Geschäftsführung ein – etwa durch Einbindung in Strategieprozesse oder unterstützende Beiträge im Blog der Geschäftsleitung. Auch auf Bereichsebene bemühen wir uns, die jeweilige Leitung als interne Auftraggeber:in zu gewinnen.

    Bestandsaufnahme: Situation analysieren

    Diversity-Arbeit sollte datenbasiert und realitätsnah erfolgen. Nur wer die tatsächlichen Bedarfe kennt, kann gezielt handeln.

    Wir starteten unsere aktive Auseinandersetzung mit Vielfalt mit einem Diversitybericht auf Basis quantitativer und qualitativer Befragungen der Beschäftigten sowie eines Benchmarks. Die Ergebnisse überzeugten die Unternehmensleitung, eine feste Stelle für Diversity Management zu schaffen. Nach meinem Einstieg bei HAMBURG WASSER auf dieser Stelle, habe ich die Analyse vertieft und die Dimensionen Geschlecht und Generation als erste Schwerpunkte definiert.

    Typische Fragen in dieser Bestandsaufnahme- und Analysephase Phase können sein:

    • Wie viele Frauen arbeiten im Unternehmen – und in welchen Bereichen?
    • Wie ist die Geschlechterverteilung in der Führung?
    • Wie alt sind unsere Mitarbeiter:innen im Schnitt – und wo gibt es Auffälligkeiten?
    • Gibt es bereits Netzwerke (z.B. LGBTQIA+)?
    • Welche Maßnahmen laufen bereits – auch ohne bisher konkretes „Diversity-Label“?
    Exkurs: LGBT … was?

    Die Abkürzung LGBTIQA+ beschreibt die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierung. Die Buchstaben bedeuten dabei: Lesbisch, Schwul (Gay), Bisexuell, Trans*, Queer, Inter*, Asexuell*. Das + steht für weitere Identitäten und Orientierungen, die nicht ausdrücklich genannt sind, wie pansexuell, non-binär oder a-romantisch. Einen vertiefenden Einblick gibt Abbildung 3.

    Abb. 3 Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierung (Darstellung von Pia Osterloh für HAMBURG WASSER)

    Abb. 3 Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierung (Darstellung von Pia Osterloh für HAMBURG WASSER)

    Ziele festlegen, Maßnahmen definieren, Stakeholder einbinden

    Auf Basis der Analyse wurden realistische Ziele und passende Maßnahmen entwickelt. Gleichzeitig war es entscheidend, alle relevanten Stakeholder einzubinden – insbesondere die Unternehmensleitung, um den strategischen Auftrag abzusichern.
    In den ersten zwei Jahren lag der Fokus darauf, Vielfalt sichtbar zu machen und strukturell zu verankern. Ab dem dritten Jahr wurde die Strategie weiterentwickelt: Trotz gesellschaftlichen Gegenwinds halten wir an unseren Zielen fest, verstetigen erfolgreiche Formate und ergänzen Antidiskriminierung als strukturellen Schwerpunkt.

    Zur Veranschaulichung sehen Sie in der Abbildung 4 unser aktuelles Maßnahmenpaket aus der Vielfalt-Strategie 2025. Unsere Maßnahmen gliedern sich in vier strategische Bereiche:

    • Vielfalt-Programme & -Projekte: z.B. Förderung von Frauen in Technik und Handwerk, Antidiskriminierungsformate
    • Verzahnung & Vernetzung: Zusammenarbeit mit internen Bereichen und externen Partnern, damit Vielfalt kein on-top oder nice-to-have Thema wird, gut verzahnt wird und wir gegenseitig von der Zusammenarbeit mit branchennahen Unternehmen lernen können
    • Aktionstage: z.B. Internationaler Frauentag, Tag gegen Rassismus, Pride Week oder Diversity Tag – hier achten wir darauf, dass nicht nur eine Flagge gehisst wird, sondern jeder Aktionstag auch wirklich mit einer Aktion, wie einem Dialogforum, Workshopprogramm oder einer Podiumsdiskussion begangen wird. Hier arbeiten wir verstärkt mit städtischen Schwesterunternehmen zusammen, um Synergieeffekte zu nutzen.
    • Kommunikation & Außenwirkung: Sichtbarkeit schaffen, Vielfalt erlebbar und besprechbar machen sowie potenzielle Bewerber:innen für das Unternehmen begeistern – intern (Intranet) und extern (LinkedIn, Instagram und Facebook).

    Abb. 4 Das Vielfaltprogramm von Hamburg Wasser in 2025

    Abb. 4 Das Vielfaltprogramm von Hamburg Wasser in 2025

    Ressourcen- und Umsetzungsplanung

    Diversity Management braucht Ressourcen – nicht nur Budget, sondern auch Zeit, klare Zuständigkeiten und strukturelle Verankerung. Ein „Nebenbei-Mitlaufen“ funktioniert spätestens ab einer gewissen Unternehmensgröße nicht mehr.

    Bei HAMBURG WASSER wurde dafür eine entsprechende Stelle geschaffen. Weitere Ressourcen wurden bedarfsgerecht ergänzt – etwa für Kommunikation, Aktionstage oder die Zusammenarbeit mit der Compliance-Abteilung. Wichtig ist: Die Umsetzung liegt nicht allein bei einer zentralen Stelle. Sie lebt von der Zusammenarbeit mit Personalentwicklung, Kommunikation, Netzwerken, Multiplikator:innen und Führungskräften.

    Maßnahmen umsetzen – pragmatisch & lernend

    Maßnahmen müssen zur Organisation passen und in bestehende Strukturen integriert werden. Vielfalt darf kein Zusatzthema sein, sondern Teil der Unternehmenskultur.

    Wir starteten bewusst mit zwei Schwerpunkten: der Förderung von Frauen in technischen Berufen und dem Thema Generation. Ab dem dritten Jahr kam Antidiskriminierung als weiterer Fokus hinzu. Ergänzend setzen wir auf Schulungen – z.B. zu Unconscious Bias (unbewusster Voreingenommenheit), Beratung bei Diskriminierungsmeldungen oder Führung in diversen Teams. Viele Maßnahmen pilotieren wir zunächst im Kleinen, prüfen ihre Wirksamkeit und übertragen sie dann in größere Strukturen.

    Monitoring & Zielprüfung

    Wir brauchen einen ehrlichen Blick auf das, was wirkt – und was nicht. Deshalb reflektieren wir einmal jährlich gemeinsam mit Führung und Kolleg:innen: Welche Ziele wurden erreicht? Was braucht Anpassung?

    So bleibt unsere Strategie lebendig, anschlussfähig – und lernfähig.

    Zentrale Learnings

    • Vergleiche dich mit ähnlichen Organisationen – lass dich nicht von schillernden LinkedIn-Beispielen blenden. Die größte Herausforderung ist, Maßnahmen zu finden, die wirklich zum eigenen Unternehmen passen.
    • Top-Down-Commitment ist unverzichtbar – ohne Rückhalt der Führung kein nachhaltiger Erfolg.
    • Fokus statt Überforderung – z. B. mit einer oder zwei Diversity-Dimensionen starten.
    • Vielfalt gehört in bestehende Prozesse – kein Zusatz, sondern Teil der Unternehmenskultur.
    • Kommunikation ist entscheidend – intern wie extern, kontinuierlich und sichtbar.
    • Diversity Management ist ein Marathon, kein Sprint. Es wird immer wieder zwei Schritte nach vorne und einen zurück geben, daher brauchen Diversity Manager:innen einen langen Atem und eine gute Frustrationstoleranz.

    Einblick aus der Praxis: Die drei Säulen unseres Diversity Managements

    Im vorherigen Abschnitt wurden bereits zentrale Elemente unseres Diversity Managements bei HAMBURG WASSER beschrieben. An dieser Stelle möchten wir drei Grundpfeiler unserer Arbeit noch einmal gezielt hervorheben.

    Dazu zählen:

    • eine datenbasierte Antidiskriminierungsarbeit, die systematisch Problemlagen sichtbar macht und gezielte Maßnahmen ermöglicht,
    • Vernetzung und Beteiligung als Mittel des Empowerments und der Entwicklung zielgerichteter Vielfaltformate
    • sowie Trainings und Haltungsarbeit, mit einem besonderen Fokus auf Unconscious Bias (unbewusster Voreingenommenheit und unbewussten Denkmuster) sowie einem mehrstufigen Workshop-Programm zur Entwicklung gemeinsamer Haltungen in Teams.

    Datenbasierte Antidiskriminierungsarbeit

    Kern der ersten Säule ist ein unternehmensweiter Diskriminierungsreport, der halbjährlich in Zusammenarbeit mit dem Compliance-Team erscheint. Er erfasst systematisch alle Diskriminierungsmeldungen aus verschiedenen Ansprechstellen, um auch bisher wenig sichtbare Problemlagen zu identifizieren. In Abstimmung mit der Unternehmensleitung werden auf dieser Grundlage gezielte Maßnahmen entwickelt.

    Ein zentrales Ziel ist es, die Meldebereitschaft deutlich zu erhöhen. Dafür braucht es nicht nur technische Strukturen, sondern auch transparente Meldewege, eine klare Haltung und intensive Kommunikationsarbeit. So wurde eine Top-down-Kommunikation etabliert, in der Geschäftsführung und Unternehmensleitung die Unternehmenswerte und eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Diskriminierung, Rassismus und Sexismus deutlich machen. Gleichzeitig wird über interne Kanäle kontinuierlich dafür sensibilisiert, grenzüberschreitendes Verhalten zu erkennen, anzusprechen und zu melden – mit dem Ziel, die Scham vor einer Meldung abzubauen. Zur Unterstützung im Umgang mit Diskriminierungssituationen wurden unternehmensweite Guidelines für Ansprechpersonen entwickelt – etwa für Gleichstellungsbeauftragte, Betriebsrat, Personalrat oder Schwerbehindertenvertretung. Ergänzend wurden Workshops konzipiert, die eine einheitliche Beratungsqualität fördern und die Handlungssicherheit der Ansprechpersonen stärken. Ein Leitfaden zur Gesprächsführung unterstützt zusätzlich bei der konkreten Beratung. Aktuell wird außerdem das Dokumentationssystem überarbeitet, um eine einheitliche und strukturierte Erfassung von Meldungen zu ermöglichen. Ab dem Jahr 2026 werden zusätzlich Diskriminierungserfahrungen im Rahmen der psychischen Gefährdungsbeurteilung systematisch erfasst. Auch die Maßnahmen zur Sensibilisierung und Qualifizierung werden ab diesem Zeitpunkt gezielt auf Führungskräfte ausgeweitet, um das Thema strukturell weiter zu verankern.

    Vernetzung und Beteiligung als Mittel des Empowerments und der Entwicklung zielgerichteter Vielfaltformate

    Die besten Konzepte entstehen nicht hinter dem Schreibtisch, sondern im direkten Austausch mit den Menschen, die sie betreffen.

    Deshalb fragen wir unsere Kolleginnen und Kollegen: Was braucht ihr wirklich?

    Ein zentrales Instrument dafür sind unsere Vernetzungsformate, die nicht nur dem Empowerment dienen, sondern auch gezielt genutzt werden, um Herausforderungen sichtbar zu machen und daraus maßgeschneiderte Maßnahmen abzuleiten. Drei Formate stehen dabei im Mittelpunkt:

    • Der Nachwuchs-Treffpunkt vernetzt junge Frauen und Berufseinsteigerinnen in technischen und handwerklichen Berufen mit Kolleginnen aus anderen städtischen Betrieben. Ziel ist es, den beruflichen Austausch zu fördern, Vorbilder sichtbar zu machen und Perspektiven für die eigene Entwicklung zu eröffnen.
    • In den bereichsbezogenen Vernetzungsrunden für Frauen – insbesondere in handwerklich-technischen und ingenieurgeprägten Bereichen – werden konkrete Herausforderungen im Arbeitsalltag identifiziert. Die jeweiligen Bereichsleitungen fungieren dabei als Auftraggeber:innen, was die strukturelle Verankerung stärkt. Aus diesen Runden sind bereits mehrere Maßnahmen entstanden, darunter Empowerment-Seminare, Schulungen für Führungskräfte zum Thema Gleichstellung, sogenannte „Führungskräfte-Nuggets“, um Gleichstellung im gesamten Team, also auch unter den männlichenKollegen besprechbar zu machen, sowie ein selbstorganisiertes Mini-Mentoring-Programm von Frauen für Frauen.
    • Die Vernetzungsrunde „Frauen in Führung“ wurde gemeinsam mit der Hamburg Port Authority aufgebaut und inzwischen um die Hamburger Hochbahn erweitert. Hier werden spezifische Herausforderungen für Frauen in Führungspositionen – insbesondere in technisch geprägten Unternehmen – thematisiert. Die Runde bietet Raum für Austausch, gegenseitige Unterstützung und kollegiale Beratung – auch über die Treffen hinaus.

    Alle drei Formate liefern wertvolle Erkenntnisse, die direkt in unsere Diversity-Strategie einfließen. Sie sind damit nicht nur Orte der Vernetzung, sondern auch strategische Werkzeuge zur Entwicklung bedarfsorientierter Maßnahmen.

    Trainings und Haltungsarbeit – Bewusstsein schaffen, Haltung entwickeln

    Ein zentraler Bestandteil unserer Diversity-Arbeit ist die Förderung eines diskriminierungssensiblen Arbeitsumfelds durch gezielte Qualifizierungsmaßnahmen. Dabei setzen wir bewusst auf Formate, die nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch zur Reflexion und Haltungsentwicklung anregen.

    Ein besonders wirkungsvolles Format ist unser Kurzworkshop zu Unconscious Bias. Denn: Wir alle haben unbewusste Denkmuster – und genau darin liegt die Stärke dieses Formats. Es schafft einen niedrigschwelligen Zugang zum Thema, ohne zu moralisieren. Statt Schuldzuweisungen geht es um Erkenntnis: Unconscious Bias betrifft uns alle – und deshalb kann auch jede:r etwas verändern. Der Workshop ist bewusst kompakt gehalten (90–120 Minuten) und kann von einzelnen Teams gebucht werden – als Impuls für die Teamentwicklung oder als Online-Session. In interaktiven Sequenzen arbeiten wir mit verschiedenen Bias-Typen, diskutieren typische Denkfallen in Kleingruppen und entwickeln gemeinsam alltagsnahe Strategien zur Reflexion und Veränderung.

    Verstetigung statt Einmal-Effekt

    Trainings allein reichen nicht aus – das zeigen sowohl Forschung als auch unsere eigenen Erfahrungen. Deshalb setzen wir auf Verstetigung: Rund vier Wochen nach dem Workshop erhalten die Teilnehmenden eine informelle Erinnerung, um die Inhalte erneut ins Bewusstsein zu rufen. Zusätzlich stellen wir Desktop-Hintergründe mit den verschiedenen Bias-Typen bereit – als tägliche visuelle Erinnerung und Reflexionshilfe im Arbeitsalltag.

    Mehrstufiges Workshop-Programm: Haltung entwickeln, Teams stärken

    Parallel dazu haben wir ein mehrstufiges Workshop-Programm in unserem größten handwerklich-technischen Bereich erfolgreich pilotiert und rollen es nun in weitere Bereiche aus. Das zentrale Learning: Zuerst müssen die Führungskräfte gemeinsam geschult werden. Nur wenn sie eine gemeinsame Haltung entwickeln, Handlungssicherheit im Umgang mit Diskriminierung und grenzüberschreitendem Verhalten gewinnen und über ausreichend Hintergrundwissen zum Thema Vielfalt verfügen, können sie ihre Teams aktiv und glaubwürdig begleiten.

    Im zweiten Schritt folgen Teamworkshops, in denen die Führungskräfte gemeinsam mit ihren Teams an konkreten Fragestellungen arbeiten. Auch hier steht die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung im Mittelpunkt – immer mit Blick auf die spezifischen Herausforderungen des jeweiligen Arbeitsbereichs. So wird das Programm nicht nur zur Qualifizierung, sondern auch zur Teamentwicklung.

    Exkurs: Warum haben wir eigentlich Unconscious Bias?

    Die Frage, warum wir überhaupt unbewusste Denkmuster haben, ist zentral für das Verständnis von Diversity-Arbeit. Unconscious Bias ist kein individuelles Fehlverhalten, sondern eine neuropsychologische Notwendigkeit: Unser Gehirn muss täglich eine enorme Menge an Informationen verarbeiten – weit mehr, als wir bewusst steuern könnten. Rund 95 % aller Informationsverarbeitung und Entscheidungen laufen im Unbewussten ab.

    Besonders anschaulich beschrieben hat das der Psychologe Daniel Kahneman, der unser Denken in zwei Systeme unterteilt:

    • System 1: das schnelle, intuitive Denken – unser „Autopilot“, geprägt durch Instinkt und Erfahrung.
    • System 2: das langsame, rationale Denken – zuständig für bewusste Reflexion und Kontrolle.

    System 1 ist evolutionär darauf ausgelegt, Gefahrensignale schnell zu erkennen. Dabei spielen bestimmte Hirnregionen eine zentrale Rolle:

    • Die Basalganglien speichern häufige Denk- und Verhaltensmuster und ermöglichen automatisierte Reaktionen – auch auf stereotype Reize.
    • Die Fusiform Face Area (FFA) im Temporallappen ist für die Gesichtserkennung zuständig und kategorisiert automatisch zwischen „vertraut“ und „fremd“.
    • Der präfrontale Kortex hilft, impulsive Reaktionen zu kontrollieren und bewusst zu reflektieren – er ist entscheidend für die Entwicklung von Haltung und kritischem Denken.

    Diese Mechanismen führen dazu, dass wir in Sekundenbruchteilen bewerten – oft unbewusst und auf Basis von erlernten Mustern. Gerade in vielfältigen Arbeitskontexten kann das zu grenzüberschreitendem Verhalten oder unbewusster Ausgrenzung führen.

    Welche Bias-Typen gibt es?

    Unconscious Bias zeigt sich in vielen Formen. Einige der häufigsten Typen sind:

    • Halo-Effekt: Eine einzelne positive Eigenschaft (z.B. sympathisches Auftreten) führt dazu, dass auch andere Eigenschaften einer Person automatisch positiv bewertet werden.
    • Affinitäts- oder Ähnlichkeits-Bias: Die Tendenz, Menschen zu bevorzugen, die einem selbst ähnlich sind – etwa in Herkunft, Sprache, Interessen oder Lebensstil.
    • Stereotype Bias: Festgefahrene, oft unrealistische Vorstellungen über bestimmte Gruppen, die unser Denken und Verhalten unbewusst beeinflussen.

    Diese Bias-Typen wirken subtil, aber nachhaltig – und genau deshalb ist es so wichtig, sie zu erkennen, zu reflektieren und gezielt zu bearbeiten. Unsere Trainingsformate setzen genau hier an: Sie schaffen Bewusstsein, regen zur Reflexion an und fördern eine diskriminierungssensible Haltung im Arbeitsalltag [25, 26, 27].