Fazit:Vielfalt leben, Gesundheit stärken –Wegbereiter für die Arbeitswelt
der Zukunft
BKK Gesundheitsreport 2025Anne-Kathrin Klemm

Die Autorin

Anne-Kathrin Klemm

Anne-Kathrin Klemm

Anne-Kathrin Klemm, Vorständin im BKK Dachverband e.V., ist Dipl. Volkswirtin und arbeitet seit fast 30 Jahren im Gesundheitssystem: beim BKK Dachverband, der Techniker Krankenkasse, dem AOK Bundesverband und der Kassenärztlichen Vereinigung Südbaden. Ihre umfassende Expertise brachte sie auch in internationale Konferenzen und als Consultant für die GTZ im asiatischen Raum ein. Ihr ist der Blick ins Ausland wichtig, um Best Practice-Erfahrungen für das deutsche Gesundheitssystem zu adaptieren.

Vielfalt in Bedrängnis

Der politische Wind dreht sich. Die liberale Gesellschaft sieht sich Angriffen auf ihren Zusammenhalt ausgesetzt. „Biodeutsch“ und „Remigration“ wurden in den vergangenen beiden Jahren zu den „Unwörtern“ des Jahres erklärt. Sie spiegeln prominente, andauernde politische Debatten wider – das Ringen um Identität. Die bestehende Heterogenität in Sprache, Kultur, Religion, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität und Herkunft ist zunehmend Angriffen ausgesetzt.

In Zeiten der Globalisierung und europäischen Integration galt Vielfalt als ein Wert an sich, den es zu verfolgen und zu fördern galt. Heute jedoch wird sie nun zunehmend infrage gestellt. Rechte Kräfte werben für Homogenität und greifen die pluralistische Gesellschaft an. Die Debatte reicht tief in alle Gesellschaftsschichten, polarisiert, wird laut, emotional und zunehmend kämpferischer geführt.

Gesellschaftliche Akteure wie wir Betriebskrankenkassen stellen sich die Frage, welche Rolle sie im komplexen Diskurs und im Ringen um die Meinungshoheit einnehmen.

Mehr als ein Symbol

Auf den ersten Blick wirken die Debatten um die Vielfalt unserer Gesellschaft, die sich verändernde moderne Arbeitswelt und die Betrachtung der Gesundheit der Menschen losgelöst voneinander zu existieren. Die Beiträge dieses 49. Gesundheitsreportes zeigen: Sie bilden einen Dreiklang, der das Wohlergehen des Einzelnen, den Erfolg von Unternehmen und die Stabilität unserer Gesellschaft maßgeblich bestimmt. Gesundheit, Vielfalt und Arbeit sind untrennbar miteinander verbunden. Die facettenreichen Perspektiven aus Wissenschaft, Praxis und Politik zeigen, dass eine gesunde Arbeitswelt nur dann nachhaltig gestaltet werden kann, wenn sie die Vielfalt der Menschen aktiv anerkennt und fördert.

Gesundheitliche Unterschiede verstehen

Die Beiträge machen deutlich, dass Arbeitsunfähigkeitszeiten kein reinindividuelles Phänomen sind. Sie spiegeln vielmehr systemische und strukturelle Schwachstellen wider. Die Auswertungen von Fehlzeiten, der ambulanten und stationären Versorgung sowie von Arzneimittelverordnungen zeigen, dass bestimmte Personengruppen – charakterisiert durch Alter, Geschlecht, Wohnort und soziale Determinanten wie den beruflichen Status oder das Einkommen – überdurchschnittlich häufig gesundheitliche Belastungen erfahren. Dabei zeigt sich, dass Letztere einen unmittelbaren Einfluss auf die körperliche und psychische Gesundheit haben. Ein niedriger sozialer Status, unsichere Arbeits- und Wohnbedingungen, eine Behinderung, die Zugehörigkeit zu einer Minderheit oder die Erfahrung von Diskriminierung – beispielsweise aufgrund der Herkunft oder der sexuellen Orientierung – verstärken das Krankheitsrisiko erheblich.

Diese gesundheitlichen Unterschiede verdeutlichen ein zentrales Problem: Die ungleiche Verteilung von Gesundheitschancen ist nicht primär medizinischer, sondern vor allem gesellschaftlicher und politischer Natur. Es reicht nicht, die Symptome zu behandeln. Politisch müssen die Ursachen gesundheitlicher Ungleichheiten durch konsequente Förderung von Chancengleichheit und Inklusion – insbesondere in der Arbeitswelt – bekämpft werden. Im Gesundheitssystem erfordern diese Erkenntnisse einen Paradigmenwechsel: weg von standardisierten Präventions- und Versorgungsansätzen, hin zu maßgeschneiderten Lösungen, die den unterschiedlichen Lebensrealitäten gerecht werden.

Vielfalt als Gesundheitsressource am Arbeitsplatz

Vielfalt am Arbeitsplatz ist weit mehr als eine bunte Mischung von Menschen. Sie ist ein entscheidender Faktor für die Gesundheit aller Beschäftigten. Die Arbeitswelt ist der Ort, an dem Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen am häufigsten zusammenkommen. Hier entscheidet sich, ob aus Reibungsflächen fruchtbare Innovationen entstehen oder ob sie zu Ausgrenzung und gesundheitlicher Belastung führen.

Studien zeigen, dass ein inklusives Arbeitsumfeld, in dem sich alle wertgeschätzt und zugehörig fühlen, das Risiko für Stress, Burnout und psychische Erkrankungen senkt. Diskriminierung, sei es aufgrund von Alter, Geschlecht, Herkunft oder anderen Merkmalen, wirkt sich hingegen direkt negativ auf die Psyche aus und kann zu Angststörungen und Depressionen führen. Eine diverse Belegschaft, in der jede Person in ihrer Individualität anerkannt wird, ist folglich eine gesündere Belegschaft.

Vielfalt als dynamischer Prozess der Mehrwert schafft

Die Gestaltung einer diversen Arbeitswelt ist kein Selbstzweck, sondern das Ergebnis eines bewussten Prozesses, der Vielfalt als Chance begreift. Teams, die aus Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Perspektiven bestehen, sind kreativer, innovativer und widerstandsfähiger – und gesünder. Sie können Probleme besser lösen und sich schneller an Veränderungen anpassen.

Diese dynamischen Arbeitsumfelder fördern nicht nur die Leistungsfähigkeit des Unternehmens, sondern auch die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeitenden. So führt Vielfalt zu besseren Arbeitsbedingungen, die wiederum die Gesundheit aller unterstützen. Die Auswertung von Arbeitsunfähigkeitsdaten und die praktischen Erfahrungen von Unternehmen verdeutlichen, dass ein konstruktiver Umgang mit Vielfalt über eine soziale Verpflichtung hinausgeht – er stellt eine bedeutende gesellschaftspolitische sowie wirtschaftliche Notwendigkeit dar.

Vielfalt sollte man nicht als Last verstehen, sondern als entscheidenden Hebel für eine gesunde, resiliente und zukunftsfähige Arbeitswelt nutzen.

Arbeitswelt als Gestaltungsraum

Der Arbeitsplatz ist der entscheidende Ort, an dem Gesundheit und Vielfalt aufeinandertreffen. Arbeitgeber haben sowohl die Verantwortung und als auch die Chance, aktiv ein Umfeld zu schaffen, das beides fördert. Eine Führungskultur, die Vielfalt aktiv fördert, trägt maßgeblich zum Wohlbefinden und zur Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden bei. Ein gezieltes Diversitätsmanagement ist dabei das Herzstück. Es geht darum, über bloße Symbolik hinauszugehen und Vielfalt als Grundprinzip der Unternehmenskultur zu verankern. Das bedeutet, Diskriminierung aktiv zu bekämpfen, Chancengleichheit zu gewährleisten und eine Führungskultur zu etablieren, die die Bedürfnisse aller Mitarbeitenden im Blick hat. Wenn Unternehmen die Individualität jeder Person schätzen, schaffen sie nicht nur eine gerechtere, sondern auch eine produktivere und gesündere Arbeitswelt. Dabei ist Vielfalt in der Arbeitswelt jedoch kein Ziel, das einmal erreicht wird und dann abgehakt werden kann. Sie ist ein kontinuierlicher Prozess, der politisches Engagement, unternehmerische Verantwortung und gesellschaftliches Umdenken erfordert.

Inklusion als Weg zu mehr Gesundheit und Teilhabe

Insbesondere vulnerable Gruppen sind mit Hindernissen am Arbeitsmarkt konfrontiert. Die Beiträge verdeutlichen, dass Arbeitslosigkeit und fehlende Teilhabe nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gravierende gesundheitliche Folgen haben. Die Schlussfolgerung ist klar: Prävention und Gesundheitsförderung müssen dort ansetzen, wo die Ungleichheiten entstehen. Die Förderung von Inklusion und Chancengleichheit ist somit ein entscheidendes Instrument, um Krankheiten vorzubeugen und die Lebensqualität aller zu verbessern.

Integrierte Ansätze für Vielfalt in der Gesundheitspolitik

Eine moderne Gesundheitspolitik, die den komplexen, sich stetig wandelnden sozialen und gesundheitlichen Herausforderungen moderner Gesellschaften ‒ wie dem demografischen Wandel, dem Fachkräftemangel oder dem Klimawandel ‒ gerecht werden will, muss an den Wurzeln ansetzen. Dabei muss sie die Vielfalt der Menschen als zentrale Ressource für Gesundheit und wirtschaftliche Stärke begreifen. Die Gesunderhaltung aller Beschäftigter wird so zum Schlüssel für nachhaltige Zukunftsfähigkeit.

Vielfaltspolitik ist Gesundheitspolitik. Gesundheitspolitik ist vielfältig.

Gesundheitspolitik muss sich der Realität einer vielfältigen Gesellschaft stellen und entsprechend flexibel agieren. Ein „One Size fits all“-Ansatz ist nicht zeitgemäß: Die unterschiedlichen Spezialisierungen und Angebote der verschiedenen Krankenkassen ermöglichen es jedem Versicherten, genau die Kasse zu wählen, die am besten zu ihrer persönlichen Lebenssituation und ihren individuellen gesundheitlichen Bedürfnissen passt. Kassenvielfalt fördert Innovation und treibt die Entwicklung neuer und flexiblerer Versorgungsmodelle voran, die sich an den Bedürfnissen moderner Menschen orientieren. Die Existenz verschiedener Kassen stellt sicher, dass das deutsche Gesundheitssystem agil bleibt und dadurch besser auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen eingehen kann, statt alle in einen einzigen starren Rahmen zu pressen.

Betriebskrankenkassen: Brücke zwischen Arbeit, Gesundheit und Vielfalt

Betriebskrankenkassen arbeiten eng mit Unternehmen zusammen, analysieren die vielfältigen Bedarfe der Belegschaften und entwickeln passgenaue Maßnahmen für unterschiedliche Mitarbeitergruppen – von jungen Beschäftigten mit besonderen Herausforderungen im Bereich psychischer Gesundheit bis hin zu älteren Mitarbeitenden, bspw. mit präventiven Angeboten für körperliche Belastungen.

Die Richtung ist klar: Wir wollen Versicherte auf individuellen Versorgungspfaden mit spezialisierten Netzwerken begleiten, wir sorgen für abgestimmte Präventions- und Versorgungsprozesse und fungieren als aktive Begleiter auf der Patient Journey. Es braucht eine Gesundheitsversorgung, die nicht nur auf die Symptome, sondern auf die gesamte Lebenssituation eingeht und Versorgungspfade, die so präzise und individuell, wie die Menschen selbst sind. Dabei unterstützen wir auch die Unternehmen beim Aufbau eines umfassenden Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM), das sowohl verhaltens- als auch verhältnispräventive Maßnahmen integriert und die Gesundheit aller Beschäftigten fördert.

Ausblick: Vielfalt als fundamentale Ressource für eine gesunde Zukunft

Die in diesem Buch versammelten Gastbeiträge von Wissenschaftlern, Vertretern von Institutionen und Unternehmen liefern ein unmissverständliches Fazit: Die Frage nach der Gesundheit unserer Arbeitsgesellschaft ist untrennbar mit der Frage nach Vielfalt und Inklusion verbunden. Es ist an uns, diese Erkenntnis zu nutzen und in die Tat umzusetzen. Politik, Unternehmen, Führungskräfte und jede und jeder Einzelne sind aufgefordert, die Vielfalt als Chance zu begreifen und die Arbeitswelt so zu gestalten, dass sie die Gesundheit aller schützt und fördert.

In einer Zeit, in der die offene Gesellschaft unter Druck gerät und Angriffe auf die Vielfalt zunehmen, zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse und Praxisbeispiele, dass eine diverse und inklusive Arbeitswelt nicht nur ein moralisches, sondern auch ein strategisches Gebot ist. Der 49. BKK Gesundheitsreport 2025 macht deutlich: Die Art und Weise, wie wir Vielfalt am Arbeitsplatz leben, prägt nicht nur unser Zusammenleben, sondern auch die Gesundheit aller und die Zukunftsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft.

Der Gesundheitsreport soll dazu beitragen, diese Diskussion voranzutreiben und den Weg für eine zukunftsfähige, inklusive und gesunde Gesellschaft zu ebnen.