Chancen und Grenzen

Diversität am Arbeitsplatz ist weder per se ein Garant für Gesundheit und Wohlbefinden, noch stellt sie automatisch ein Risiko dar. Ihre Wirkung hängt maßgeblich davon ab, wie Vielfalt gestaltet und wahrgenommen wird – sowohl im Betrieb als auch in der Gesellschaft.

Chancen: Diversität als Ressource für Gesundheit und Innovation

Diversität kann, wenn sie bewusst gestaltet wird, eine bedeutende Ressource für Organisationen darstellen. Unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen fördern Kreativität, erleichtern Problemlösungen und erhöhen die Qualität von Entscheidungen. Gerade in einer komplexen Arbeitswelt ist es von Vorteil, wenn heterogene Teams Aufgaben aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und dadurch innovative Lösungen hervorbringen. Neben der Leistung profitieren auch Gesundheit und Wohlbefinden: Beschäftigte in vielfältigen Teams können auf ein breiteres Spektrum an sozialer Unterstützung zurückgreifen und sind dadurch oft resilienter gegenüber Belastungen. Diversitätsfreundliche Gesundheitsprogramme leisten zudem einen wichtigen Beitrag zur Gleichstellung und Inklusion. Sie machen sichtbar, dass die Bedarfe aller Beschäftigtengruppen ernst genommen werden und dass Gesundheit im Betrieb nicht exklusiv, sondern inklusiv gedacht wird

Abb. 3 Vielfalt als Ressource im Kontext der Gesundheitsprävention

Grenzen: Risiken und Belastungen durch ungestaltete Diversität

Die positiven Effekte von Vielfalt treten jedoch nicht automatisch ein. Wird Diversität nicht aktiv gestaltet, birgt sie erhebliche Risiken. Besonders häufig entstehen Spannungen, wenn Unterschiede im Team stark wahrgenommen werden und in „wir“ und „sie“ unterteilt werden. Subgruppenbildung kann das Vertrauen schwächen, Kooperation erschweren und die psychische Belastung der Beschäftigten erhöhen. Ebenso besteht die Gefahr, dass bestimmte Gruppen von Gesundheitsangeboten ausgeschlossen bleiben, wenn diese nicht diversitätsgerecht entwickelt werden. Beschäftigte in Schichtarbeit, Menschen mit Sprachbarrieren oder Teilzeitkräfte profitieren häufig weniger von Maßnahmen, die nicht an ihre Arbeits- und Lebensrealitäten angepasst sind. Ungestaltete Diversität kann außerdem zu Überforderung führen: Wenn Organisationen keine klaren Strukturen und Regeln schaffen, wird Vielfalt von Mitarbeitenden nicht als Ressource, sondern als zusätzliche Belastung wahrgenommen.

Gesellschaftliche Dimension: Zwischen Normalisierung und Gegenbewegung

Diversität ist längst Normalität in der Arbeitswelt, und immer mehr Unternehmen integrieren sie systematisch in ihre Personal- und Gesundheitsstrategien. Doch diese positive Entwicklung wird begleitet von gesellschaftlichen Gegenbewegungen. Rechtspopulistische Strömungen stellen Vielfalt infrage und propagieren ein homogenes Gesellschaftsbild. Solche Diskurse wirken auch in die Betriebe hinein, indem sie Vorurteile verstärken und Misstrauen gegenüber bestimmten Gruppen fördern. Für betroffene Beschäftigte können diese gesellschaftlichen Spannungen zu Diskriminierungserfahrungen und erheblichen psychischen Belastungen führen. Insofern ist diversitätsorientierte Gesundheitsförderung nicht nur eine betriebliche Aufgabe, sondern auch ein gesellschaftlicher Auftrag: Sie stärkt den sozialen Zusammenhalt und trägt dazu bei, Polarisierungstendenzen entgegenzuwirken.

Notwendigkeit der strategischen Verankerung

Damit die Chancen von Diversität genutzt und die Risiken minimiert werden können, ist eine strategische Verankerung im Betrieblichen Gesundheitsmanagement unverzichtbar.

Diversität sollte nicht als isoliertes Projekt verstanden werden, sondern als Querschnittsthema, das sich in Leitbildern, Unternehmensstrategien und konkreten Maßnahmen widerspiegelt.

Dazu gehören verbindliche Leitlinien zu Inklusion, gezielte Schulungen für Führungskräfte im Umgang mit heterogenen Teams und eine systematische Evaluation von Gesundheitsprogrammen im Hinblick auf ihre Reichweite und Wirkung für unterschiedliche Beschäftigtengruppen. Nur wenn Diversität im BGM als strategisches Handlungsfeld verankert wird, lässt sich verhindern, dass Maßnahmen oberflächlich bleiben oder ins Leere laufen.

Zwischenfazit

Diversität ist kein Selbstzweck. Sie kann sowohl zur Ressource als auch zur Belastung werden. Ob sie im Kontext von Prävention und Gesundheitsförderung wirkt, hängt davon ab, ob Unternehmen Unterschiede bewusst anerkennen, Konflikte konstruktiv bearbeiten und Rahmenbedingungen schaffen, die Teilhabe ermöglichen. Diversitätsorientierte Gesundheitsförderung ist damit nicht nur ein Instrument zur Steigerung individueller Gesundheit, sondern auch ein Beitrag zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der demokratischen Resilienz in einer pluralen Gesellschaft.

Fazit und Ausblick

Die Arbeitswelt ist vielfältiger denn je – und diese Vielfalt wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Alterung der Gesellschaft, Migration, veränderte Geschlechterrollen, technologische Entwicklungen und neue Arbeitsformen prägen Belegschaften, die in sich heterogener und pluraler werden. Diese Entwicklungen stellen Prävention und Gesundheitsförderung vor neue Aufgaben.

Take Home Messages
Prävention und Gesundheitsförderung sind nur dann wirksam, wenn sie Diversität berücksichtigen.

Wirksamkeit durch Diversität: Unterschiedliche Beschäftigtengruppen haben unterschiedliche Bedarfe. Einheitslösungen greifen zu kurz. Wer Vielfalt berücksichtigt, sei es in der Gestaltung von Arbeitsbedingungen, in der Ansprache von Zielgruppen oder in der Entwicklung von Programmen, steigert die Wirksamkeit und Reichweite von Gesundheitsmaßnahmen.
Spezifische Bedarfe und Herausforderungen: Alter, Geschlecht, Herkunft, sozioökonomischer Status und psychische Gesundheit beeinflussen, welche Risiken, Ressourcen und Hürden Beschäftigte mitbringen. Gesundheitsförderung, die diese Unterschiede erkennt, verhindert Ausgrenzung und macht Angebote zugänglicher.
Best Practices: Erfolgreiche Beispiele zeigen, dass diversitätsorientierte Gesundheitsförderung möglich ist – von altersgerechten Arbeitsplätzen über gendersensible Stressprävention bis hin zu kultursensiblen Programmen für Belegschaften mit hohem Migrant:innenanteil. Entscheidend ist Partizipation, Niedrigschwelligkeit und Flexibilität.

Diversität ist dabei Chance und Herausforderung zugleich: Sie kann Gesundheit und Innovation fördern, birgt aber auch das Risiko von Konflikten und Ausgrenzung, wenn sie ungestaltet bleibt. Angesichts gesellschaftlicher Polarisierung und rechtspopulistischer Angriffe auf Vielfalt gewinnt die Aussage zusätzlich an Relevanz: Diversitätsorientierte Gesundheitsförderung ist auch ein Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Für die kommenden Jahre lassen sich drei Leitlinien ableiten:

Integration von Diversität in das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM): Vielfalt darf kein Randthema sein, sondern muss systematisch in Leitbildern, Programmen und Evaluationsprozessen verankert werden.
Stärkung der Partizipation: Beschäftigte aus unterschiedlichen Gruppen sollten aktiv in die Entwicklung von Maßnahmen einbezogen werden – nur so lassen sich Bedürfnisse realistisch erfassen und Lösungen tragfähig umsetzen.
Politische und gesellschaftliche Verantwortung: Gesundheitliche Prävention in Unternehmen kann dazu beitragen, soziale Ungleichheiten abzubauen, Chancengleichheit zu fördern und demokratische Resilienz zu stärken.

Der BKK Gesundheitsreport 2025 widmet sich deshalb nicht zufällig diesem Thema. Er will dazu beitragen, dass Diversität nicht als Sonderfall, sondern als Normalität verstanden wird – und dass Prävention und Gesundheitsförderung in einer vielfältigen Gesellschaft so gestaltet werden, dass alle Beschäftigten gleichermaßen profitieren können.

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